Sir Jai und seine Mixing Tricks
Sir Jai über seine Tricks
bei der Hip Hop Produktion
Der Konstanzer DJ und Produzent Jo Piehl aka Sir Jai zählt zu den am meisten profilierten Studioarbeitern im deutschsprachigen Hip Hop. Der ausgebildete Toningenieur verantwortet seit Jahren als Mischer den Sound von Kool Savas, und bei einigen Titeln des Künstlers, wie „Aura“ und „Rhythmus meines Lebens“, hat er auch auf dem Produzentensessel Platz genommen.
Kürzlich hat er zusammen mit Psaiko Dino, dem DJ con Cro, das Projekt „Take Dat!“ ins Leben gerufen, und daneben arbeitet er für deutsche Künstler wie Olli Banjo, Laas Unltd, Mosh 36 und Amar, sowie Manillio, Greis, Eldorado FM und Glanton Gang aus der Schweiz, und britische Artists wie Chipmunk, Sneakbo und Mavado.
In unserem Interview, welches in den Berliner Red Bull Studios stattfand, verrät Sir Jai, wie die Lieblingszahlen in seinem Produktions-1x1 lauten: 1176, 808 und MP3...
Wo stehst du in der ewigen „Analog vs. Digital“-Diskussion?
Ich finde schon, dass bei einer Produktion irgendwo echter Strom fließen muss. Wenn das auf dem Weg rein passiert, ist das aber auch in Ordnung. Wenn ich ein Album mischen soll, das durch schlechte Preamps und Wandler recordet wurde, dann ist das das schlimmste, was passieren kann. Ich mache die Session auf, und nach dem ersten Song bin ich so müde, dass ich nicht mehr weitermachen will, weil der Sound so ätzend ist. Das schlimmste was dir passieren kann ist ein harsches Mikrofon durch harsche Preamps, und dann hast du 20 Vocalspuren im Refrain gleichzeitig. Das klingt selbst dann noch aggressiv wenn du es ganz leise drehst und denkst: Oh Gott, wie kriege ich da jetzt Vibe rein? Ich recorde ja selbst nicht mehr so viel, aber ich habe dieses Jahr ein Album aufgenommen, bei dem ich die Vocals über einen Great River Preamp und einen 1176 aufgezeichnet habe, und dazu noch ein schönes Mikro von Dan Suter aus der Schweiz ausgesucht, das gut zur Stimme passte. Und dann hab ich bei den Signalen im Mix nur noch nen Lowcut gesetzt und vielleicht 1.5 dB bei 800 Hz rausgezogen, und das war’s. Da hast du auch Vibe, da brauchst du kein großes Processing mehr hinterher! Du guckst dir die Höhen an und denkst: Das passt!
Heute scheint es ja manchmal ein Missverständnis zu sein, dass man mit der „allmächtigen“ DAW im Nachhinein alles fixen kann – und fixen sollte. Dabei ist es viel schlüssiger, von vorneherein auf gute Qualität zu achten. Etwas provokant gesagt: Wenn es ein gutes Arrangement und gute Signale gibt, ist es fast egal, auf welchem Weg man die Produktion nach Hause bringt.
Ja, das ist so. Wenn es eine gute Produktion ist, habe ich am Ende so wenig Plugins in der Session. Die Leute vergessen zum Anfang beispielsweise schon mal, ordentliche Levels zu setzen. Man macht sich einen Kopf über dieses und jenes Gerät, analoges Summing und so weiter, und manchmal wäre es viel naheliegender, erst einmal überhaupt mit vernünftigem Pegel zu arbeiten. Einfach die Levels an den Start bringen, eine gute spektrale Balance, dass der Druckpunkt richtig sitzt, und dann kann man weiter reden – was für einen Charakter es haben soll, wie die Höhen klingen sollen und so weiter. Es gibt Leute, die schaufeln Hardware um sich herum und sitzen aber in einem Raum, der nicht klingt. Das kann nicht der Weg sein. Oder sich zu lange mit den Details eines Synth-Sounds aufhalten, wenn der Song noch gar nicht stimmt. Mir waren in den letzten Jahren auch Investitionen wie Speaker und Raumakustik wichtiger. Das sind Dinge, die in der Anschaffung nicht so viel Spaß machen wie Synths oder Kompressoren, aber die im Endeffekt viel entscheidender sein können. Technische Spielereien sind sehr schön, aber oft geht es eigentlich um ganz andere Dinge. Du brauchst zum Beispiel auch nicht überall Sättigung! Wenn du einmal ein Signal aufgenommen hast bei dem der Übertrager zu hart angefahren wurde, dann bist du ganz vorsichtig hinterher. Es kann ganz gefährlich sein, bei der Aufnahme zu heiß in den Preamp zu gehen. Dann sitzt du da nachher im Mix und hast nichts mehr in den Händen, die Höhen brüllen dich nur noch an, komprimieren brauchst du auch nicht mehr weil es voll geclippt ist. Das ist mir am Anfang mit dem Great River passiert als ich ihn noch nicht kannte. Und dann merkst du auf einmal: Okay, du kannst mit dem Scheiß auch richtig Schaden anrichten...
Das ist wohl eine Lernkurve, die jeder durchmacht, der sich mit Outboard beschäftigt. Und je länger man dabei ist, desto mehr realisiert man, dass es letztlich um die Entscheidungen geht, die man trifft, und nicht so sehr darum, wie genau man sie ausführt.
Man darf sich auch nicht so sehr auf die Technik verlassen. Auch die besten Prozessoren machen das Ergebnis nicht unbedingt in jedem Fall besser. Manchmal stimmen die Signale schon von selbst, und es gibt gar nicht mehr so viel zu machen. Ich habe mich lange geweigert mit Mix-Templates zu arbeiten, wo man für bestimmte Elemente schon ein vorbereitetes Channel-Layout hat, aber manchmal geht es einfach gar nicht anders, wenn ich für einen Album-Mix beispielsweise nur eine Woche Zeit habe. Und da habe ich dann vielleicht noch ein Tube-Tech CL 1B Plugin oder einen Summit auf der Vocal-Gruppe für ein bisschen Glue, und dann machst du die auf einmal aus und merkst, dass das auch geil ist, und dann bist du erstmal verunsichert, weil es ja sonst immer so gut funktioniert hat. Du rutschst da in so eine Routine hinein, und das ist gar nicht so gut. Man muss immer genau hinhören, und deswegen mag ich Templates eigentlich nicht so gern. Im Endeffekt gilt es, einen Mittelweg zu finden, denn viele Dinge bewähren sich dann ja schon. Ich hab in den Kanälen dann oft 3, 4 Plugins die erstmal aus sind, und die ich dann schnell durchschalten kann um zu sehen, was am besten klingt. Viele Plugins haben bei mir auch genau ein Setting, mit dem sie für mich am besten funktionieren. Ein 1176 hat bei mir eigentlich immer eine Einstellung.
Sehr interessant! Wie sieht die aus?
Attack zwischen 2 und 3, Release ganz schnell, Input und Output auf 10 Uhr und 2 Uhr, Ratio 4:1 – ganz klassisch, das ist mein Vocal-Setting. Das klassische „Dr. Pepper“-Setting, angelehnt an den alten amerikanischen Werbespot in dem es hieß, dass man die Limo immer um 10, 2 und 4 Uhr trinken soll. So klingt der 1176 für mich am besten. Wenn ich so überhässliche perkussive Sounds habe, bei denen die Transienten einfach zu schnell sind, dann gehe ich auch mit der Attack auf den schnellsten Wert um das Signal abzuschleifen. Evtl. mit relativ hoher Ratio dann, und 1-3 dB Pegelreduktion, das ist ein super Mittel gegen eklige Transienten.
"Viele Plugins haben bei mir auch genau ein Setting, mit dem sie für mich am besten funktionieren."
—Sir Jai
Einer der größten Fehler der immer wieder gemacht wird ist, Vocals zu hart und mit zu langer Attack zu komprimieren. Es gibt wenige Tools, die so ein Signal so gut reparieren können wie ein 1176 in der von dir beschriebenen Einstellung.
Ja, Mega! Wenn ich Vocals bekomme, die so „hässlich“ komprimiert sind, dann jage ich sie oft nochmal durch den 1176, obwohl sie eigentlich bereits zu wenig Dynamik haben, und sie klingen hinterher besser. Ich benutze ihn oft parallel, wobei das 1176-Signal dann die Hauptspur ist und ich das trockene Signal dann noch etwas dazumische. Hinterher hab ich dann nochmal einen Kompressor, der Main-Vocals und Backings ein bisschen mehr zusammenbringt. Ich hab mein Setting für ein Album auch mal in Hardware zur Verfügung gehabt, aber das entwickelt dann auch nochmal ein Eigenleben. In the box fühle ich mich da durchaus etwas sicherer. Das funktioniert mit den UAD-Plugins auch einwandfrei, ich kann problemlos Signale parallel dazumischen ohne dass es Phasenprobleme gibt und so.
Was genau ist denn deine typische Vocal-Kette?
Wie beschrieben nehm ich den 1176 parallel auf den Main-Vocals, manchmal noch den DBX 160 VU dazu, und dann habe ich noch den CL 1B oder den Summit auf der Gruppe, dann mit relativ langsamer Attack und wenig Kompression, und damit glue ich dann Main und Backings nochmal etwas zusammen. Das ist für mich der Vocal-Sound, daran komme ich nicht mehr vorbei. Ich glaube, ich werde im Leben nie wieder einen anderen Kompressor nehmen. Obwohl: Den 176 von Retro Instruments habe ich auch viel benutzt, der ist krass, den liebe ich. Wenn der Röhrenvorgänger vom 1176 jetzt auch noch als UAD-Plugin kommt, dann bin ich glücklich!
Jetzt sind die Stichworte Mix-Template und UAD-Plugins schon mehrfach gefallen. Was sind denn so deine Lieblinge auf die du immer wieder zurückkommst?
Die EMT-Plate ist mein klassischer Snare-Hall, die filtere ich ganz klein und mach sie mono. Heute reißen ja alle – ich auch – in der Breite alles ganz weit auf, aber ich will auch, dass der Mix in die Tiefe geht, eine Dimension nach hinten bekommt. Es geht ja auch um Kontraste, und das funktioniert mit einer Mono-Plate an dieser Stelle extrem gut. Als Alternative verwende ich manchmal das AMS RMX16, das geht auch gut. Ganz am Ende habe ich auf den Vocals immer noch den Shadow Hills, und je nachdem was ich brauche nehm ich noch ein ganz kleines bisschen Opto oder VCA und ich mag es sehr, ganz am Ende, wenn die Vocals eigentlich schon perfekt sitzen, mit den Schiebereglern für die unterschiedlichen Ausgangsübertrager nochmal zu gucken, in welche Richtung ich es noch pushen kann. Bisschen Mitten-Bump, bisschen heller, bisschen dreckiger – das ist ganz subtil, aber für mich immer wieder das i-Tüpfelchen: Ah, das hier ist nice, das nehm ich! Ich habe in meinen Mixen manchmal mehr Busse und Aux-Wege als Spuren, aber alles macht eigentlich nur ganz wenig. Mal hier ein bisschen, mal da, ganz kleine Sachen, die sich aber alle addieren. So bekommt es für mich aber viel mehr leben, als wenn ich es statisch einzeln zusammenkloppe.
Den Vertigo VSC-2 habe ich parallel auf den Drums. Früher hatte ich da auch gerne mal den 1176, aber den benutze ich ja meistens auf den Vocals. Gerade in the box versuche ich aber, immer etwas unterschiedliche Prozessoren einzusetzen. Ich glaube, ich bekomme im Rechner mehr „analoge Variation“ hin wenn ich unterschiedliche Plugins auf den Signalen einsetze. Es ist wichtig, Kontraste und Differenzen zu bekommen, und die hast du mit Outboard automatisch, weil nicht jedes EQ-Modul exakt gleich klingt. Den VSC-2 benutze ich dabei, um mehr Punch zu bekommen, also SSL-Style: lange Attack, kurze Release, 4:1 oder 8:1, und arbeitet dann ordentlich. Das macht dann einfach ein bisschen mehr Smack und Bewegung. Schnelle Attack um leise Signalanteile hochzuholen interessiert mich da nicht so, ich mische ja viele elektronische Drumsounds bei denen es gar keinen Raumanteil gibt. Live-Drums sind natürlich ein anderes Thema. Da hatte ich das erste mal in meinem Leben ein anderes 1176-Setting. Du packst ihn auf die Snare und dann macht es „klick“, wie ein Schlüssel im Schloss: Krass, das ist dieser Snare-Sound also. Klassiker! Bei Live-Drums brauchst du ganz andere Settings und Tools als bei programmierten Drums. Das ist ein bisschen wie beim kochen, wo man dann auch so bestimmte Rezepte entschlüsselt. Reisessig, Ingwer, Knoblauch, Sojasauce, und dann denkst du: Ah, alles klar, das ist dieser Grund-Taste von japanischer Küche. Das ist ganz ähnlich bei Musik! Zum Glück gibt’s im Hip Hop nicht nur einen Code, sondern mehrere. Am schnellsten mische ich zum Beispiel 808-Sachen. Da kann man als Produzent nicht so viel falsch machen, weil der Drumcomputer in sich schon so nice stimmt. Ich weiß ganz genau wie ich das Teil behandeln muss damit es ganz am Ende knallt. Das hat auch viel mit Drum-Tuning zu tun. Da macht es irgendwann mal klick, und du weißt wie es funktioniert.
Stichwort Drum-Tuning! Das wäre ohnhin meine nächste Frage gewesen, das ist ja ohnehin eines meiner Lieblingsthemen.
Auf jeden Fall! Wenn ich merke, dass die Bassdrum zu hoch oder zu tief sitzt, dann gehe ich da sofort ran. Ich habe gerade ein Album gemischt, da habe ich zweimal die Bassdrum ausgetauscht. Das Low-End fügt sich besser zusammen, das gehört für mich zum Mischen unbedingt dazu. Wenn ein Mix am Ende nicht gut klingt, dann liegt das nicht nur an mir als Mischer, sondern auch an den Sounds, die der Produzent ausgewählt hat. Die Snare nen Halbton hoch, die Kick nen Halbton runter, sowas kann den Mix unglaublich öffnen.
Ein Problem ist auch, dass viele Leute MP3-Samples benutzen, und das geht gar nicht. Das mische ich auch nicht, das bringt nichts. Letzten Sommer hatte ich eine Produktion bei der ich letztlich eine CD aus Japan bestellen musste, für 120 Dollar, um das MP3-Sample mit einem Wav zu ersetzen, aber das geht nicht anders, und das schreibe ich dann am Ende auch mit auf die Rechnung drauf. Aber mit MP3 mische ich nicht. Sowas habe ich dieses Jahr bestimmt schon bei 10 Songs gemacht, wo ich selber dann die Platte bestellt habe. Und das ist dann manchmal „pain in the ass“. Die Leute die die Samples auf Youtube gestellt haben hatten vielleicht nen Plattenspieler mit komischem Tempo, und du musst es dann hindrehen, das ist Arbeit! Aber anders geht es nicht. Stell dir vor, die Produktion landet dann bei iTunes und wird nochmal codiert. Das klingt furchtbar, da bin ich raus!
Zu mir hat mal einer gesagt, MP3s zu mischen ist wie der Versuch, eine Qualle festzuhalten. Wenn du sie auf der einen Seite gepackt hast, flutscht sie dir auf der anderen Seite weg.
Ja, egal was du machst, es klingt einfach nur anders – anders Scheiße...
"Die Snare nen Halbton hoch, die Kick nen Halbton runter, sowas kann den Mix unglaublich öffnen."
—Sir Jai
Angenommen du hast eine Situation, in der du an eine gut klingende Version des MP3-Samples dennoch nicht rankommst – hast du einen Tip wie man retten kann, was zu retten ist?
Mmmh... ich mache auf jeden Fall das Seitensignal aus, weil das auf jeden Fall kaputter klingt als der Mono-Anteil, und dann spreade ich es mit einem Dimension D oder einem MXR-Flanger wieder auf. Oder ich mache es oben mit einem steilen Filter einfach zu. Aber das ist wirklich nur für die Hardcore-Notfälle. Das Problem ist, dass der Hörer sich oft auf das Signal das am schlechtesten klingt fokussiert, und das drückt dann den gesamten Song runter. Wenn alles gut klingt bis auf diesen einen Sound, dann wird er die komplette Qualität deines Songs runterziehen. Also: Seite aus, oben zu und dann schauen wie man es wieder aufmacht, wieviel Modulation es auch verträgt.
Hast du beim Ausspielen der Mixe etwas auf der Summe?
Nein, ich brauche das Processing vorher auf den einzelnen Signalen, und ich will dem Mastering-Engineer auch nicht weh tun. Wenn ich einen Limiter draufpacke und merke, dass ich mehr als 2-3 dB Pegelreduktion brauche damit es laut wird, dann liegt der Fehler eh woanders, und dann muss ich genau da rangehen. Sobald Vocals meinen Limiter berühren, läuft irgendwas ganz gewaltig falsch – oder es ist Straßen-Rap...!
— Hannes Bieger
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